Wie kann der Abbau von Diskriminierung gegenüber Roma- und Sinti-Kindern im Schulsystem gelingen? Darüber tauschten sich Lehrkräfte, politische Akteur:innen und Entscheidungsträger:innen aus der Slowakei und Deutschland am 23. und 24. Juni in Berlin aus. Neben zwei Berliner Schulen besuchten die slowakischen Teilnehmenden das Bildungsforum gegen Antiziganismus und sprachen mit Mehmet Daimagüler, dem Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung.
Der Schutz von Roma und Sinti Gemeinschaften ist eine europäische Aufgabe – so betonte es Guillermo Ruiz, Referent des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma bei dem Besuch der slowakischen Gruppe im Bildungsforum gegen Antiziganismus. Ein Austausch wie dieser sei wichtig, um gemeinsam die Situation der marginalisierten Gruppe zu verbessern und voneinander zu lernen. Dass dafür an vielen Stellen gleichzeitig angepackt werden muss, wurde in den zwei Exkursionstagen bei den eindrücklichen Vorträgen, Gesprächen und Schulbesuchen deutlich.
Die Erika-Mann-Grundschule gab den slowakischen Lehrkräften und Vertreter:innen von ETP und EduRoma Einblicke in den Alltag einer theater- und musikbetonten Schule. Die Schulleiterin Birgit Habermann hob dabei die Verantwortung der Schule hervor, die Kinder in ihren jeweiligen Fähigkeiten und Interessen zu fördern und ihnen mit dem kreativen Zugang einen einfacheren Weg zu Selbstwirksamkeit und Entscheidungsmut aufzuzeigen. Insbesondere Kinder mit Lernschwächen, mit nicht-deutschsprachigem Familienhintergrund oder körperlichen Beeinträchtigungen werden an der Schule gezielt unterstützt. Die Zusammenarbeit mit den Eltern sei dabei besonders wichtig. Das bestätigten auch die Roma-Mediatorinnen der Rütli Schule, für die Vermittlungsarbeit eine zentrale Rolle spielt. Beim Besuch des Rütli Campus erzählten sie von ihrer täglichen Arbeit, von dem Austausch mit den Eltern von Roma und Sinti Kindern, von den Hausbesuchen, und von den sprachlichen Barrieren, die sie zu überwinden versuchen, in dem sie Gespräche mit der Schule oder den Behörden für die Eltern auf Romanes übersetzen. Sabina Salimovska, Roma-Mediatorin am Campus Rütli, betonte wie wichtig es gerade im Schulkontext sei, die Eltern über ihre Pflichten aufzuklären und sie in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Auch für die Aufklärungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen sei es grundlegen, sie zunächst über ihre Rechte zu informieren. Nur so können diese selbst zu Mediator:innen werden und ihre Freundinnen und Freunde über Diskriminierung und Rassismus in Peer-to-Peer Form aufklären.
Auch Mehmet Daimagüler, der Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung, setzt sich in seiner Arbeit mit dem Schulsystem auseinander. Im Gespräch mit den slowakischen Teilnehmenden hob er hervor, dass das Hauptproblem seiner Meinung nach die fehlende Bildung über Sinti und Roma Gemeinschaften sei. Zu viele Menschen hätten rassistische und vorurteilsbehaftete Bilder der Community im Kopf, wodurch sich die Diskriminierung im Laufe der Zeit strukturell verankert habe. Ein wichtiges Mittel dagegen sei aus seiner Sicht die umfangreichere Aufklärung an Schulen, die Berücksichtigung von der Geschichte von Roma und Sinti im Lehrplan und die Reform von Schulbüchern. Projekte wie Schule gegen Rassismus seien dafür wichtige Maßnahmen, aber auch die Bundesländer sieht Herr Daimagüler besonders in der Pflicht. Nur wenn in verschiedenen Gremien auf Landesebene Roma und Sinti vertreten seien, können sie sich auch auf politschem Level nachhaltig für Veränderung einsetzen. Am Ende sei es jedoch vor allem wichtig, Unterstützung aus Reihen der Gesellschaft zu haben und von außen Druck auf die Politik auszuüben. Erst wenn Entscheidungsträger:innen merken, wie wichtig das Thema für breite Teile der Gesellschaft ist, werde sich langfristig etwas ändern können.
Diese Beobachtung bestätigte auch Björn Budig vom Bildungsforum gegen Antiziganismus in der gemeinsamen Gesprächsrunde. Der Schwerpunkt des Bildungsforums liegt auf der Präventionsarbeit gegen Antiziganismus und dem Empowerment von Sinti und Roma. Schulen, Behörden oder Firmen wie die Deutsche Bahn würden zunehmend auf das Bildungsforum zukommen und um Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten bitten, um Mitarbeitende für Diskriminierung gegen Roma und Sinti zu sensibilisieren. Das sei ein erster wichtiger Schritt, um der institutionellen Benachteiligung von Roma und Sinti entgegenzuwirken. Dennoch sei es noch ein weiter Weg bis zum Abbau von ethnisch bedingter Benachteiligung. Deutschland habe ein sehr elitär geprägtes Bildungssystem, kritisiert Guillermo Ruiz vom Zentralrat Deutscher Sinit und Roma. Kinder aus Arbeiterfamilien oder marginalisierten Gruppen haben es noch immer sehr schwer, eine Ausbildung an der Universität zu erhalten. Während Ruiz in dieser subtilen Diskriminierung ein Hauptproblem Deutschlands sieht, ist die Lage in der Slowakei deutlich offensiver, wie die Erfahrungsberichte der slowakischen Teilnehmenden deutlich machten. Die Ausgliederung von Roma Gemeinschaften, die prekäre Wohnsituation, die Segregation in reine Roma-Schulen und -Klassen oder die ungerechte Eingliederung von Kindern aus marginalisierten Roma-Gemeinschaften in spezielle Sonderschulen sind Ausprägungen einer offenen Diskriminierung, der die Teilnehmenden in ihren Arbeitsbereichen auf unterschiedliche Art und Weise begegnen. Daran zu arbeiten und sich in der Praxis für den Schuzt von Roma einzusetzen, sei eine der größten Herausforderungen ihrer Arbeit, betonten vor allem die slowakischen Lehrkräfte.
Obwohl sich die Ausgangssituationen und die Formen der Diskriminierung in Deutschland und der Slowakei unterscheiden, konnte der Austausch zwischen den deutschen und slowakischen Akteur:innen neue Perspektiven und Anstöße geben, die sich in der ein oder anderen Weise zu vielversprechenden Strategien für Schulen und Politik entwickeln könnten. Vor allem aber konnte die Exkursion einen Auftakt geben für den zukünftigen länderübergreifenden Austausch – beim nächsten Mal vielleicht mit einem Besuch der deutschen Akteur:innen in der Slowakei.
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