Die wachsende Popularität radikaler politischer Kräfte ist nicht nur in der Slowakei, sondern in ganz Europa zu beobachten. Vor allem in der unteren Mittel- und Arbeiterschicht herrscht das Gefühl, dass der Staat ihre Grundbedürfnisse vergisst. Sie spüren dies vor allem an der schlechteren Verfügbarkeit und Qualität der öffentlichen Dienstleistungen (Bildung und Gesundheitsversorgung). Außerdem wächst die Kluft zwischen denjenigen, die ihren Lebensstandard bedroht sehen, und denjenigen, die kein Problem mit dem derzeitigen System haben. Welche Bedrohungen gehen vom zunehmenden Radikalismus und Populismus aus? Warum wenden sich die Wähler:innen von den herkömmlichen politischen Parteien ab und wählen Populisten? Welche Werte sind ihnen wichtiger als Demokratie? Radovan Geist, Analyst und Herausgeber des Portals euractiv.sk, diskutierte dieses Thema mit der Chefredakteurin des Portals zahranicnapolitika.sk, Eva Mihočková.
Der Anstieg des Einflusses rechtsradikaler Parteien ist nicht das Ergebnis der letzten Jahre, sondern begann bereits nach der Finanzkrise 2008. Seitdem durchlebt Europa eine Reihe von Krisen - die Wirtschaftskrise, die Schuldenkrise in der Eurozone, die Migrationskrise, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine - die weder EU als Ganzes noch die Mitgliedstaaten einzeln zu lösen vermögen. Diese Krisen bringen soziale und wirtschaftliche Folgen mit sich, die soziale Spannungen verschärfen und die Gesellschaft polarisieren. Wie R. Geist betont, sind es die radikalen Stimmen, die in einer angespannten Atmosphäre die besten Chancen haben. In Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden sowie in der Slowakei nach den Vorwahlumfragen punktet die radikale Rechte derzeit deutlich.
Laut der FES-Studie sind Wähler bereit, Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die von ihnen gewählten Parteien zu verzeihen, sofern diese Parteien für die Themen und Werte eintreten, die sie für zentral halten. Dieses Phänomen lässt sich in tief gespaltenen Gesellschaften beobachten. Wie R. Geist hinzufügt, seien für Wähler:innen radikaler Parteien Fragen der Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht wichtig; entscheidend sei für sie die Haltung der Partei gegenüber der Minderheit, die sie als Quelle der Probleme wahrnehmen.
In der Arbeiter- und Mittelschicht herrscht die Stimmung vor, dass ihre täglichen Probleme und Bedürfnisse nicht nur vom Staat, sondern auch von den linken politischen Parteien vernachlässigt werden. Das Gefühl einer Bedrohung der kulturellen Identität durch die Migrationskrise und die Bemühungen der LGBTI+-Community um Gleichberechtigung oder das Gefühl der Bedrohung der Sicherheit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine führen dazu, dass diese Bevölkerungsgruppe radikalen politischen Parteien und Populisten zuneigt. Genau diese Themen, die die Gesellschaft am meisten spalten, werden von Populisten und Radikalen instrumentalisiert, indem sie behaupten, dass der Staat seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Bürger:innen nicht nachkommt, weil er sich mit den Problemen von Minderheien befasst. Eine polarisierte Gesellschaft ist ein Nährboden für radikale Parteien, weshalb sie insbesondere in den sozialen Netzwerken hitzige, teilweise sogar hasserfüllte Debatten fördern. Je polarisierter die Gesellschaft, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Wähler:innen für Radikale stimmen.
Nach Ansicht von R. Geist kann der Aufstieg der Radikalen zwei Gefahren mit sich bringen. Erstens werden sie, auch wenn sie die Wahlen nicht gewinnen werden, zu notwendigen und akzeptierten Koalitionspartnern. Zweitens werden sie als programmatische Inspiration für Mainstream-Parteien dienen, die einen Teil des Programms der radikalen Parteien übernehmen werden. Beide Bedrohungen seien in Europa bereits Realität, wie Geist hervorhebt.
Der Aufstieg rechtsextremer politischer Parteien kann die EU bedrohen und schwächen, insbesondere bei der Bewältigung der Krisen, mit denen die Union konfrontiert ist. Sie blockieren und erschweren die Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden müssen. Es ist charakteristisch für radikale Parteien, dass sie vor den Wahlen die Position vertreten, dass ein Austritt aus der EU etc. erforderlich sei. Nach den Wahlen ändern sie ihre Rhetorik, unabhängig davon, ob sie an die Macht kommen oder die Position vertreten, dass die Macht von ihnen abhängt. Es besteht keine Notwendigkeit, die EU zu verlassen, es genügt, sie zu reformieren. Aber eine Reform nach den Vorstellungen der Radikalen durch die Förderung ihrer Ziele und Agenda bedeutet eine Schwächung der Union, was zu ihrer Auflösung führen kann. Ein Austritt aus der EU wäre in einem solchen Fall sinnlos.
Die ganze Situation wird dadurch erschwert, dass der wachsende Einfluss radikaler und populistischer Parteien Menschen aus dem Land treibt. Dabei handelt es sich vor allem um Menschen, die das Land verändern und voranbringen könnten. Ohne diese Menschen wird das Land politisch und kulturell konserviert und viele Chancen werden verpasst. Radovan Geist schloss die Debatte mit den Gedanken, dass die Demokratie könne nur von den Bürger:innen durch politische Parteien gerettet werden, die sich für liberale Demokratie einsetzen.
Die vollständige Diskussion auf Slowakisch finden Sie HIER
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